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Fakultät Physik

Biologische Strahlenwirkung

Der zweite Forschungsschwerpunkt unserer Arbeitsgruppe ist die biologische Wirkung von Strahlung. Dieses Forschungsgebiet ist entscheidend für das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen, durch die Protonenstrahlung auf biologisches Gewebe einwirkt, was wiederum die Optimierung von therapeutischen Strategien ermöglicht. Unsere Forschung in diesem Bereich umfasst die Entwicklung verfeinerter Vorhersagemodelle für die variable effektive Strahlen­dosis. Ein Teilprojekt befasst sich mit der Untersuchung der zellulären Prozesse, die zu strahleninduzierten Hirnschäden führen, anhand eines In-vivo-Mausmodells, das Einblicke in die pathophysiologischen Veränderungen und mögliche therapeutische Interventionen bietet. Durch die Aufklärung dieser komplexen Wechselwirkungen wollen wir die Wirksamkeit und Sicherheit der Protonen­therapie erhöhen, um letztlich die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern und das Feld der Strahlenbiologie voranzubringen.

Biologische Strahlenwirkung auf der zellulären Ebene

Die Be­strahlung von Zellen bietet den idealen Rahmen, um die grundlegende biologische Wirkung von ionisierender Strahlung besser zu verstehen und deren wesentliche Abhängigkeiten zu untersuchen. Im Mittelpunkt dieses Projekts steht die Verbesserung der herkömmlichen Modellierung der biologischen Wirksamkeit von Protonen- und Ionenstrahlen z.B. durch Anwendung moderner Modellierungsmethoden. Das Endziel dieses Projekts ist die verbesserte Modellierung der klinischen Protonen-RBE.

© Henning Willers et al.; Liheng Tian​/​TU Dortmund
Links: Variation der relativen biologischen Wirksamkeit (RBE) mit dem LET [Willers et al., 2018]. Rechts: Ein auf maschinellem Lernen basierendes ionenunabhängiges Modell, das die sogenannte Strahlqualität (Q), das α/β-Verhältnis auf die RBE des Partikelstrahls abbildet [Tian et al., 2023].

Die Strategie dieser Arbeit besteht darin, eine einfache ionenunabhängige RBW-Modellierung, welche auf dem Strahlqualitätsparameter Q basiert, zu etablieren und anhand verfügbarer Zellüberlebensdaten zu validieren. Dann soll damit Wissen und die Erfahrung zur RBW der Kohlenstoffbestrahlung, welche seit Jahrzehnten erforscht wird, auf die Protonentherapieforschung übertragen werden. Weiterhin kommt es auch im Rahmen von Forschungskollaborationen zur Beteiligung an strahlenbiologischen Experimenten mit Protonen.

Kontakt

Liheng Tian

  • Cihangir Ali Cakir. Die theoretische Untersuchung einer neuen Strahlen­dosis für eine von dem Ionentyp unabhängige Modellierung der relativen biologischen Wirksamkeit. Bachelorarbeit, 2021.
  • Philipp Zolthoff. Modelling microscopic biological damage patterns of different ions for an RBE model based on beam quality. Bachelorarbeit, 2022.
  • Yosef Emshani. Investigation of radial dose models for an ion-independent relative biological effectiveness model. Bachelorarbeit, 2022.
  • Jennifer Kuhnert. Monte-Carlo-Simu­lation for an ion-independent relative biological effectiveness model in particle therapy. Masterarbeit, 2022.

Relative biologische Wirksamkeit (RBW) in der klinischen Protonen­therapie

Obwohl bekannt ist, dass der RBE von Protonenstrahlung variabel ist, wird in der klinischen Behandlung ein konstanter RBE-Wert von 1,1 verwendet. Es gibt jedoch zunehmend klinische Belege für eine variable RBW für Protonenstrahlen, welche sich vor allem am distalen Rand des so genannten Spread-Out-Bragg-Peak (SOBP) auswirkt und damit im gesunden Gewebe, wo RBE-Werte größer als 1,7 auftreten können.

© Armin Lühr​/​Elsevier

Die Aktivitäten in diesem Themenbereich sind vielfältig. Zum einen gilt es klinische Evidenz für die Variabilität der Protonen RBE zu generieren, indem Behandlungsdaten in Zusammenarbeit mit klinischen Partnern ausgewertet werden. Das andere große Ziel ist die sichere Überführung einer Berücksichtigung der variablen RBE in die klinische Routine. Hierfür gilt es einerseits den derzeitigen Behandlungsstandard an allen europäischen Protonentherapiezentren flächendeckend aufzuzeigen. Andererseits ist es besonders wichtig eine Standardisierung der RBE-Modellierung zu erreichen, z.B. durch das Etablieren von gemeinsamen Definitionen für die LET-Berechnung in Europa.

Kontakt

Armin Lühr

  • Lauritz Klünder. Variable relative biological effectiveness (RBE) modeling in proton therapy of brain tumors. Masterarbeit, 2021.
  • Julia Sobolewski. Calculating variable relative biological effectiveness for clinical treatment plans at the West German Proton Therapy Centre Essen. Masterarbeit, 2021.
  • Sujeeva Sivarajah. Biologische Wirksamkeit von Protonenstrahlung: Auswahl geeigneter Modelle zur Unterstützung klinischer Entscheidungen. Bachelorarbeit, 2021.
  • Jona Bensberg. Assessing the role of RBE variabilty in proton therapy für cranial tumors. Masterarbeit, 2023.
  • Dr. Christian Hahn. Variable Relative Biological Effectiveness in Proton Treatment Planning: Assessment, Harmonisation and Mitigation. Dissertation, 2023.
  • Dr. Lena Heuchel. Towards reducing uncertainties in the applied effective dose for two specialized radiotherapy techniques: Total body irradiation and proton therapy. Dissertation, 2024.
  • A. Lühr et al., ‘Radiobiology of Proton Therapy’: Results of an international expert workshop, Radiother. Oncol., vol. 128, no. 1, pp. 56–67, Jul. 2018, doi: 10.1016/j.radonc.2018.05.018.

  • C. Hahn et al., Towards harmonizing clinical linear energy transfer (LET) reporting in proton radiotherapy: a European multi-centric study, Acta Oncol., vol. 61, no. 2, pp. 206–214, Feb. 2022, doi: 10.1080/0284186X.2021.1992007.

  • L. Heuchel, C. Hahn, J. Pawelke, B. S. Sørensen, M. Dosanjh, and A. Lühr, Clinical use and future requirements of relative biological effectiveness: Survey among all European proton therapy centres, Radiother. Oncol., vol. 172, pp. 134–139, Jul. 2022, doi: 10.1016/j.radonc.2022.05.015.

  • J. Eulitz et al., Increased relative biological effectiveness and periventricular radiosensitivity in proton therapy of glioma patients, Radiother. Oncol., vol. 178, p. 109422, Jan. 2023, doi: 10.1016/j.radonc.2022.11.011.

In-vivo-Analyse zellulärer Prozesse bei strahleninduzierten Hirnschädigungen

Obwohl die Dosisübereinstimmung bei der Protonen­therapie höher sein soll als bei der Photonentherapie, wurden in Hirntumor-Patientenkohorten unerwartete Toxizitäten im Normalgewebe beobachtet. Um ein Verständnis der komplexen biologischen Prozesse zu erlangen, bieten neuere Studien einen In-vivo-Modelldatensatz mit histologischen Färbungen und Nachsorge-Magnetresonanzbildern (MRT) von Maushirnen, die die bei Patienten beobachteten Hirnläsionen darstellen.

Dieses Projekt zielt darauf ab, eine Verbindung zwischen den makroskopischen MRTs und den histologischen Färbungen herzustellen, die einen Einblick in die zelluläre Ebene ermöglichen, um die biologischen Prozesse zu identifizieren, die für die Entstehung von Hirnschäden verantwortlich sind.

Kontakt

Robin Hegering

© Johannes Soltwedel et al., 2023
Oben links: Sichtbare Bildveränderungen in Maushirn-Magnetresonanztomographie (MRI); oben rechts: Überlagerung mit Hirnregionen-Atlas; unten links: Überlagerung mit applizierter Protonendosis (Isodosenlinien); unten rechts: von der Bildveränderung betroffene Hirnregionen
  • Lauritz Klünder. Variable relative biological effectiveness (RBE) modeling in proton therapy of brain tumors. Masterarbeit, 2021.
  • Suckert, T.; Beyreuther, E.; Müller, J.; Azadegan, B.; Meinhardt, M.; Raschke, F.; Bodenstein, E.; von Neubeck, C.; Lühr, A.; Krause, M.; Dietrich, A. Late Side Effects in Normal Mouse Brain Tissue after Proton Irradiation. Frontiers in oncology 202110, 2881. https://doi.org/10.3389/fonc.2020.598360.
  • Soltwedel, J.; Suckert, T.; Beyreuther, E.; Schneider, M.; Boucsein, M.; Bodenstein, E.; Nexhipi, S.; Stolz-Kieslich, L.; Krause, M.; Neubeck, C. von; Haase, R.; Lühr, A.; Dietrich, A. Slice2Volume: Fusion of Multimodal Medical Imaging and Light Microscopy Data of Irradiation-Injured Brain Tissue in 3D. Radiotherapy & oncology 2023182https://doi.org/10.1016/j.radonc.2023.109591.